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Geschlechterrollen im Glam Rock - Alienität

  • superpummi
  • Mar 22, 2021
  • 7 min read

Updated: Mar 24, 2021

Auszug aus meiner Bachelorarbeit





Ein weiteres Phänomen, das in direkter Verbindung mit dem Glam Rock auftritt, ist die sogenannte Alienität. Der Begriff hängt dicht mit dem der Alterität zusammen, was im Wesentlichen „das Fremde“ beschreibt. Während aber Alterität eher das Fremde neben dem bereits Bekannten darstellt (wie beispielsweise die Homosexualität als das andere neben der Norm Heterosexualität), ist die Alienität vielfältiger und „den Betrachtern ‚völlig fremd und entzogen‘“ (Krämer, 2014 zit. n. Ricken/Balzer, 2007, S.105). Natürlich beinhaltet die Alienität auch die Vorstellung des „Alien“, also des Außerirdischen, dessen etymologische Herkunft ja auch vom Wort „fremd“ ist.

Die Alienität ist in dem Sinne eine Ausformung der Androgynität, da weibliche und männliche Stereotypen auch hier auf eine bestimmte Weise miteinander vereint und damit gleichzeitig negiert werden. Sie werden in einer so abgewandelten Art verwendet, dass die Person als nicht-irdisch bzw. über-irdisch erscheint, als etwas derart Fremdes, das sich über alles Menschliches hinwegsetzt. Trotzdem ist die Alienität mit ihrer implizierten Übersinnlichkeit als eigenes, separates Phänomen zu analysieren.




Das Aushängeschild der Alienität im Glam Rock ist zweifelsohne David Bowie. Da er den Authentizitätsanspruch der früheren Rockmusiker nicht teilte und stattdessen bei seiner Performance auf Theatralität und dramatische Elemente setzte, erschuf er im Lauf seiner Karriere immer wieder neue Bühnenpersönlichkeiten. Sein 1972 erschaffenes Glam Rock-Persona Ziggy Stardust ist ein vom Mars zur Erde gekommener Außerirdischer, der der Welt durch die Rockmusik seine Botschaft von Hoffnung und Frieden verkünden möchte, durch seinen exzessiven Drogenkonsum und dem Ausleben von Rockstar-Allüren aber schließlich daran scheitert. Zu den Eigenschaften der Figur gehören nicht nur ein außergewöhnlicher Look mit knallrotem Vokuhila-Haarschnitt und ohne Augenbrauen, einem glänzenden Kreis aus goldenem Make-Up auf der Stirn und eigenwilligen Glitzer-Overalls, auch ihre Sexualität ist ein wichtiger Bestandteil derer. Bowie hat klargestellt, dass Ziggy, das Alien, bisexuell ist, und hat dies auch mehrmals auf der Bühne vorgeführt: Des Öfteren zeigte er mit Bandkollege Mick Ronson eindeutig mehrdeutige Gesten auf der Bühne, wie zum Beispiel das gegenseitige Berühren und Umgarnen. Diese Szenen haben nicht nur für einen Aufschrei in der Menge gesorgt, sie zeichnen auch ein deutliches Bild von der mehrdeutigen Sexualität der außerirdischen Figur. MacLeod sagt, dass Bowies Alien-Persona sinnbildlich war für seine bisexuelle Entfremdung von der heterosexuellen, männerdominierten Rock-Szene (Auslander, 2006 zit. n. McLeod, 2003, S.132.).


Die Kunstfigur Ziggy Stardust vereint mit seinem transvestitisch anmutendem Auftreten die herkömmliche Androgynie mit einer Art ‚abgespaceder‘ (im wahrsten Sinne des Wortes) Paranormalität (Auslander, 2006, S. 134). Auslander erklärt, dass bei Ziggy ein komplexes Zusammenspiel männlicher und weiblicher Gender-Codes stattfindet, was, wie oben erwähnt, die Alienität mit der Androgynie verbindet. Seine ausgefeilten Kostüme und vor allen Dingen die mehrfachen Kostümwechsel während der Shows gelten als typisch weiblich, und auch in den Bühnenakten mit Ronson (sh. oben) nimmt er stets die weiblich codierte, untergeordnete Position ein. Jedoch identifiziert er sich nicht mit dem femininen Image, es ist rein performativ und sollte als nicht wirklichkeitsgetreu, sondern quasi in Anführungszeichen gesehen werden (Auslander, 2006, S. 140). Der aliene Körper soll weder als männlich noch als weiblich gesehen werden, er soll abseits der sexuellen Binarität als drittes, androgynes Geschlecht wahr-genommen werden (Krämer, 2014 zit. n. Loughlin, 2004, S. 243).


Die Rock-Fans von damals allerdings konnten keine richtige Grenze zwischen der Person Bowie und seiner Bühnenpersönlichkeit Ziggy Stardust ziehen – sie waren noch zu sehr an die forcierte Echtheit der 60er Jahre-Musiker gewöhnt und sahen beide als eine, reale Person – obwohl Bowie in einer heterosexuellen Beziehung mit einer Frau war und dies nicht vor der Öffentlichkeit zu verstecken versuchte. Im Gegenteil, seine Ehefrau Angela Bowie war maßgeblich an der Kreation seiner Bühnenlooks beteiligt. Dennoch hatten die Fans Probleme, die Kunstfigur Ziggy auch wirklich als solche wahrzunehmen, vor allem als David Bowie in einem Interview zugab, selbst bisexuell zu sein, und dies dann wenig später gleich wieder dementierte (Krämer, 2014, S. 202). Daran ist zu sehen, dass er sehr vorsichtig mit dem Thema seiner persönlichen sexuellen Orientierung umgeht und damit spielt – er trennt das Image seiner Bühnenpersönlichkeit und deren suggestive Texte und Auftritte streng von seiner eigenen Person, sodass lediglich ein Mythos vom „Queer David“ bleibt (Krämer, 2014 zit. n. Buckley, 2002, S.207)




Ganz anders Jobriath, ein weiterer aliener Glam-Künstler, einer der wenigen aus den USA, der von Beginn seiner Karriere an an die Öffentlichkeit trug, dass er homosexuell war. Sein Look weist etliche Parallelen zum Marsianer Ziggy auf. Auf dem Cover seines Albums „Creatures of the Street“ trägt er (anders als auf dem Cover seines ersten, selbstbetitelten Albums, auf dem als nackte Statue zu sehen ist) eine ähnliche Kurzhaarfrisur wie Ziggy und scharf gezogenes Make-Up, das unter anderem an außerirdische Figuren aus der Sci-Fi Serie „Star Trek“ erinnert. Sein teils glänzendes und teils ledrig schwarzes Outfit mit aufgestelltem Kragen wirkt futuristisch und erinnert an die typischen silber-metallischen Anzüge eines fiktionalen Außerirdischen oder Weltraumfahrers. Songs wie “Morning Star Ship” oder “Space Clown” unterstreichen das extraterrestrische Image. Anders als Ziggy jedoch, war Jobriath keine reine Bühnen-Persona. Der bürgerliche Bruce Wayne Campbell nahm im Jahr 1973 den Namen Jobriath Boone an, um unter diesem berühmt zu werden. Er zog keine Grenze zwischen seinem persönlichen Ich und seiner Glam-Persona – Bruce wurde von diesem Moment an zu Jobriath, und wenn er sagte, dass er schwul war, dann meinte er das auch so (Megarry, 2018).

Abbildung 2: David Bowie als Ziggy Stardust Abbildung 3: Cover von Jobriaths 2. Album

"Creatures of the Street"

Rein von der Darstellung des alienen Persona her gesehen war Jobriath Ziggy also sehr ähnlich, doch die Implikationen waren andere: Während Bowie widersprüchliche Interviews gab und mit seinem Co-Star auf der Bühne herumalberte, meinte Jobriath es ernst. „If Glam’s sexual ambiguity pushed the envelope of rock, then the genre’s all-but-forgotten star child, Jobriath, tore right through the envelope of glam” (Gdula, 1998, S. 73), schreibt das Magazin The Advocate. Die Welt schien bereit zu sein für Anspielungen, Marotten und Mehrdeutigkeiten der populären Glam-Musiker, nicht aber für die unverhüllte Wirklichkeit der selbsternannten „True fairy of rock and roll“ (Megarry, 2018), die nichts mehr der eigenen Vorstellung der Zuschauer überließ. Die unglücklichen, viel zu überkandidelten Marketingstrategien seines Managers Brandt mag für seinen kolossalen Misserfolg mitverantwortlich gewesen sein, doch auch die Tatsache, dass das vermeintlich Künstliche bei ihm plötzlich die unverblümte Realität sein sollte, trug dazu bei. Dies verstanden die meisten Leute noch weniger als die Trennung zwischen Bowie und Ziggy – vor allem im biederen Amerika. Allgemein stammte nur ein Bruchteil der kanonischen Glam-Künstler aus den USA, und der Glam selbst war dort auch weitaus weniger verbreitet und beliebt als in Europa. So war die Karriere des Jobriath schon nach kurzer Zeit wieder beendet, ohne je ihren wirklichen Höhepunkt erreicht zu haben. Während sein Manager Jerry Brandt ihn zuerst in den Himmel lobte und übertrieben vermarktete, bevor überhaupt sein erster Auftritt stattgefunden hatte, zerriss die Presse ihn bereits in der Luft (Gdula, 1998, S. 74). Da er mit zwei Alben keinen Erfolg erzielte und fast nur Ablehnung erfuhr, ließ das Label ihn fallen und er zog sich aus dem Glam Rock und auch vollständig aus dem Rampenlicht zurück. Später würde er unter dem Pseudonym Cole Berlin in Cocktailbars auftreten, bis er als eines der ersten Opfer der Aids-Welle im Jahr 1983 mit nur 36 Jahren starb (Megarry, 2018).


Seine Geschichte findet sich im beliebten Glam Rock-Streifen „Velvet Goldmine“ wieder, in dem vom Aufstieg und Fall eines fiktiven Glam-Stars (gespielt von Jonathan Rhys Meyers) erzählt wird. Dieser, geboren als Thomas Stone, benennt sich schon bald in Brian Slade um, um seine Rock-Karriere zu starten. In den 70er Jahren, nach einigen eher erfolglosen Auftritten im Psychedelic Rock-Genre, gelingt ihm dies endlich mit dem alienen Persona Maxwell Demon und seiner Band „The Venus in Furs“. Dieser ebenfalls explizit als Alien gestaltete Charakter im silber glitzernden Overall mit Federbesatz und blauer Vokuhila-Frisur erinnert stark an Jobriath sowie auch an Ziggy Stardust. Seine Songs, die man im Film zu hören bekommt, unterstreichen sein Image des androgynen, bisexuellen Aliens. In „Hot One“ singt er von seiner Reise durchs Weltall: „Hot One/From a starship over Venus to the sun“ und gleichzeitig mit „When you walk in all the fairy boys[1] are very nervous” und „I'm glad I caught you on my view screen, sailor“ (Shudder To Think, 1998) von einem offenbar männlichen Objekt der Begierde. Die Ehe mit seiner Ehefrau Mandy wird gleichermaßen thematisiert wie die eigentlich inszenierte, dann aber doch echte Beziehung zu Sänger Curt Wilde (gespielt von Ewan McGregor). Mit den beiden Charakteren wird der oben beschriebene Bühnen-Fellatio von Bowie und Mick Ronson ebenfalls filmisch umgesetzt. Im Gegensatz zu den realen Musikern sollen die beiden aber eine echte homosexuelle Liaison haben, Brians Manager Jerry Divine will die beiden Künstler als glückliches Paar vermarkten und dies wird von den Fans und der Presse nicht abgelehnt, sondern regelrecht gefeiert – anders als damals bei dem offen homosexuellen Jobriath. Die Fassade beginnt erst zu bröckeln, als Protagonist Slade dem Drogenmissbrauch zum Opfer fällt und größenwahnsinnig wird. Er täuscht schließlich vor, bei seinem letzten Konzert mitten auf der Bühne erschossen zu werden und taucht ab und in den 80er Jahren unter einem anderen Alias wieder auf, bei dem zuerst nicht klar ist, dass es sich tatsächlich um dieselbe Person handelt. Der aalglatte Popsänger Tommy Stone erinnert gleichermaßen an Cole Berlin sowie an Bowies 80er Jahre-Persona des „Thin White Duke“.


Eine weitere aliene Figur im Film ist die des Jack Fairy (gespielt von Micko Westmoreland), ein hagerer, hochgewachsener Mann mit auffälligem Make-Up und langen, wallenden Kleidern, der immer über allem zu schweben scheint und nie direkt mit den anderen Charakteren im Film interagiert, außer als er und Slade sich in einer traum-artigen Sequenz küssen und dieser ihm seine symbolträchtige Oscar Wilde-Brosche klaut – woraufhin dann Slades erfolgreiche Karriere beginnt (Velvet Goldmine, 1998). Der Film ist so kanonisch, da er die Glam Rock-Szene mit ihren vielfältigen Persönlichkeiten und Geschlechterrollen so anschaulich und realitätsnah zeigt, dass er bereits von einigen Autoren von Sachbüchern über Glam Rock als feste Glam-Größe in die Studien aufgenommen wurde.


Doch wie hängt der Aspekt der Alienität, also dem Verkörpern einer nicht-irdischen Gestalt, nun mit einer bestimmten sexuellen Orientierung oder einem Verständnis von Geschlechtern zusammen? Die Antwort führt zurück auf das Konzept der Heteronormativität: Die Heterosexualität ist die Norm in der Gesellschaft, und wenn Jemand diese nicht erfüllt, ist er/sie demzufolge „abnormal“ – wird zumindest so behandelt und fühlt sich vielleicht auch so. Nun kann dieses Gefühl der Abnormalität in Form einer sexuellen Nichtzugehörigkeit schnell zu einem allgemeinen Gefühl der fehlenden Identifikation mit der Gesellschaft und den Mitmenschen werden. Mehrere Mitglieder der LGBT-Szene haben schon beschrieben, sich wegen ihrer Sexualität nicht menschlich oder wie von einem anderen Planeten zu fühlen (Bullock, 2017, Pos. 153). Daher ist die Assoziation von der Homo- oder Bisexualität (und natürlich auch allen anderen existenten nicht-heterosexuellen Orientierungen) zum außer-irdisch-Sein nicht weit hergeholt. Außerdem kann die Vorstellung eines Aliens, das von einem anderen Planeten kommt, vielleicht auch eine Art Eskapismus, also die Möglichkeit, aus der eigenen tristen und als inadäquat empfundenen Welt zu flüchten, darstellen.

[1] fairy boy” steht für einen besonders femininen, eventuell auch queeren Mann und nimmt Bezug auf Jobriaths Äußerung, die „true fairy of rock and roll“ zu sein (sh. oben)

 
 
 

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